Sind ICOs Stolperstein oder Chance?

Der Begriff Intial Coin Offerings (ICO) ist eines der am häufigsten verwendeten Schlagwörter im Bereich Bitcoin, Blockchain & Co. Als Instrument für die Gründungsfinanzierung scheint es die traditionellen Finanzierungsvehikel zu verdrängen – man könnte sogar von disruptieren sprechen. Doch der aktuelle Boom zeigt ebenso, dass dieses Instrument auch Schwächen hat und der Regulator bereits genau hinschaut. Als Fazit darf gesagt werden, dass ein ICO die Grundgesetze der Startup-Finanzierung nicht auf den Kopf stellt: Ein gutes Team mit einer guten Idee und harter Arbeit sind genauso wichtig wie das schnelle Geldeinsammeln à la Tezo. Kaum zwei Wochen, nachdem in der Schweiz die Finanzmarktaufsicht (FINMA) einen Leitfaden für Initial Coin Offerings (ICO) veröffentlicht hatte, kam aus Übersee die Botschaft, dass die amerikanische Börsenaufsichtsbehörde (SEC), welche für den Wertschriftenhandel zuständig ist, Dutzenden von Firmen, die in ICOs involviert waren, eine Vorladung zugestellt hat. Unter den Angeschrieben befinden sich nicht nur Technologieunternehmen, die selbst ein ICO in die Wege geleitet haben, sondern auch Investoren, Berater und Marketingverantwortliche. Insgesamt seien etwa 80 Personen von dieser härteren Gangart in Bezug auf ICOs betroffen. Doch während sich Regulatoren über den Umgang mit diesen neuen Technologien noch uneins sein mögen, stellt sich für gewiefte Investoren die Frage nach den Auswirkungen auf den eigenen Investitionsprozess.

Angel Investoren als wichtiger Teil des Startup Eco Systems

Dabei konzentrieren wir uns in dieser Betrachtung auf Angel Investoren, welche traditionell in der ersten Wachstumsphase eines Unternehmens dazukommen und somit in der Regel die ersten «fremden» Investoren sind: Personen, die nicht aus dem direkten Familien- und Freundeskreis der Firmengründer stammen. Oft sind Angel Investoren (auch Business Angels genannt) selbst erfahrene Unternehmer und organisieren sich in Gruppen, um den Investitionsprozess sowohl für sich selber als auch für die Startups möglichst schlank zu halten. Eine dieser Vereinigungen ist der Swiss ICT Investor Club (SICTIC); mit über 170 Mitgliedern nicht nur die grösste Business Angel Organisation in der Schweiz, sondern auch klar fokussiert auf Tech Startups. SICTIC organisiert über die ganze Schweiz verteilt mehr als 10 Events pro Jahr, um einerseits den Startups eine Plattform zu geben und andererseits den Business Angels einen direkten Kontakt mit ausgewählten Investitionsmöglichkeiten zu ermöglichen. Anders als gewinnorientierte Business Angels Organisationen finanziert sich SICTIC dabei lediglich aus den einsteigerfreundlichen Jahresbeiträgen der Business Angels und nimmt keinerlei Kommissionen oder Gewinnbeteiligungen bei Investments. Die Nachhaltigkeit dieses Modells haben auch namhafte Firmen erkannt, die SICTIC mit Sponsorbeiträgen unterstützen.​

ICO als neue Form der Gründungsfinanzierung

ICOs sind die Fortsetzung eines Trends, der mit Crowdfundingplattformen wie Kickstarter seinen Anfang nahm. Innovative Jungunternehmer und Enthusiasten suchten nach neuen Finanzierungsformen, um noch zu entwickelnde Produkte auf den Markt bringen. Dabei war es den Initianten zwar wichtig, die Kontrolle über das Projekt behalten zu können, doch andererseits verstanden sie, dass auch die Geldgeber auf irgendeine Art entschädigt werden müssen. Diese Trennung zwischen wirtschaftlichem Erfolg und Kontrolle über Unternehmen zeigt die sich verschiebenden Machtverhältnisse zwischen Kapitalgebern und Gründern auf. Man denke an Unternehmen wie Facebook, wo der Firmengründer Mark Zuckerberg durch Stimmrechtsaktien eine überproportionale Kontrolle über das Unternehmen hat. Nun konnte sich nicht jeder Jungunternehmer so erfolgreich gegen die Interessen der Risikokapitalgeber durchsetzen wie Zuckerberg. In ihrer Rolle als Türhü- ter zum Kapital konnten letztere in der Regel ihre eigenen Interessen durchsetzen und sich sowohl Kontrolle als auch einen bedeutenden Anteil am wirtschaftlichen Erfolg sichern. Das Aufkommen der ICOs hat für Startups den Zugang zum notwendigen Startkapital weit geöffnet. Anstatt Aktienanteile werden nun beispielsweise künftige Umsatzprozente oder bestimmte Nutzungsprivilegien verkauft. Die Startups sind diesbezüglich sehr kreativ. Manche treiben es soweit, dass die Risikokapitalgeber für ihr Investment kaum viel mehr als einen warmen virtuellen Händedruck bekommen. Auch die Investoren sind nicht unschuldig, denn im Hype um Bitcoin & Co. wollen alle auf diesen Zug aufsteigen, um schnell gutes Geld zu machen. Tatsächlich haben im letzten Jahr von 902 untersuchten ICOs nur 760 genügend Geld bekommen, um dann ihre Geschäftstätigkeit auch aufnehmen zu können. Und von diesen 760 sind 276 eingegangen, entweder weil die «dynamischen Jungunternehmer» sich mit dem Erlös abgesetzt haben oder die Mittel verbrannten, ohne im Gegenzug dafür etwas zu liefern.

ICO als heiliger Gral für Startups

In anderen Worten: Initial Coin Offerings vereinfachen zwar das Leben der Jungunternehmen, entbinden Angel Investoren aber nicht von ihren Hausaufgaben. Dazu gehören erstmal die gleichen Fragen, wie bei jedem anderen Startup:
  • Wie ist die Qualität der Gründer und des Teams​​
  • Welches Problem löst das Unternehmen​​
  • Wie ist die Qualität der bisher produzierten Software​​
  • Wie gross ist der Markt, wer sind die Kunden, wie werden diese erreicht​​
  • Was ist das Businessmodell (also wie verdient man Geld)​​
  • Was ist die «Time to Market»​​
Insbesondere in der schnellen Welt der ICOs kann natürlich besonders beim letzten Punkt (Time to Market) deutlich an Zeit gewonnen werden, wenn damit von Anfang an der Kapitalbedarf des gesamten Aufbaus in einer einzelnen Transaktion abgedeckt werden kann, anstatt über Jahre hinweg Management Ressourcen für mehrere separate Finanzierungsrunden zu beanspruchen. Doch mit dem Geldsegen steigt möglicherweise auch das Risiko, dass das Projekt scheitert. Dies mag auf den ersten Blick nicht sonderlich intuitiv erscheinen, bis man sich vergegenwärtigt, dass jede Finanzierungsrunde auch eine Form der Validierung darstellt. Fallen diese wertvollen Feedback-Loops weg, wird ein Scheitern erst offenbar, wenn der letzte Cent aufgebraucht ist. Im Gegensatz zu einer traditionellen Finanzierung kann dieser letzte Cent unter einem Haufen von Hunderten Millionen weiteren Cents und Franken begraben und erst nach Jahren aufgebraucht sein. Ausserdem schaltet das Vorhandensein finanzieller Mittel im (scheinbaren) Überfluss natürliche Filter aus. Insbesondere in den Innovationszentren von Grossunternehmen kommt es daher immer wieder vor, dass am Schluss eben doch nichts Brauchbares produziert wird – man musste sich ja nie wirklich entscheiden, sondern konnte stets sowohl-als-auch. Bei der Entwicklung von neuen Diensten und Produkten nie Nein sagen zu müssen, endet in überteuerten und am Markt vorbei entwickelten Leistungen. Des Weiteren bringen ICOs in vielen Rechtsfragen inhärente Unsicherheit mit sich. Zu den Empfängern der eingangs erwähnten Vorladungen der SEC gehört auch ein Investment Fund von Michael Arrington, dem Gründer von TechCrunch. Er zeigte sich davon mehr als überrascht, als er sagte, dass er mit den besten Anwaltskanzleien des Landes zusammengearbeitet habe und diese penibel darauf geachtet hätten, dass jedes Kreuzchen in allen erdenklichen Böxchen gesetzt sei. Zu den rechtlichen Herausforderungen beim ICO selber kommt die Rechtsunsicherheit bei gewissen Corporate Events: Es ist heutzutage jedem KV-Lehrling klar, wie die Kapitalerhöhung einer Aktiengesellschaft abgewickelt werden muss, doch selbst gelernte Juristen sind sich uneins darüber, wie solche Transaktionen in gewissen ICO-Strukturen ablaufen müssen, wodurch weitere Finanzierungsrunden verunmöglicht werden mögen. Trotz der vielen Warntafeln auf dem Weg ins Crypto Valley soll nun aber die Schlussfolgerung nicht lauten, die beschwerliche Reise sei das Ziel nicht wert. Die neuen Finanzierungsformen haben durchaus ihre Daseinsberechtigung und diverse SICTIC Investoren sammeln nun erste Erfahrungen in ICOs. Wie so oft in der Geschichte des Fortschritts werden wohl diejenigen Projekte von Erfolg gekrönt sein, welche geschickt die Vorteile der neuen mit den Vorteilen der alten Welt kombinieren, um bestehende Schwächen auszumerzen. Genauso wie beim Studium gilt auch hier: «Fertig gelernt» gibt’s nicht. Ralph Mogicato, ein IfI-Alumnus mit Abschluss 1990 und Beirat des IfI, ist seit über mehr als 30 Jahren in der Finanz-, Consulting- und IT-Branche in der Schweiz, Deutschland, Österreich und Singapur tätig. Er ist Mitbegründer und war CEO bei der Schweizer Beratungsgesellschaft Synpulse (ehemals Solution Providers) mit über 350 Mitarbeitern. Heute ist er Unternehmer, Senior-Berater, Vorstandsmitglied und Angel Investor bei Tech Start-ups, Lehrbeauftragter an der Universität Zürich und Dozent an der Fachhochschule Kaleidos sowie Gastdozent am IFZ, Universität St. Gallen und Swiss Finance Institute. Er ist zudem Verwaltungsrat bei der CREALOGIX Holding AG und Assepro AG, Vizepräsident des Schweizer ICT Investor Club (SICTIC) und Mitglied verschiedener Fintech-Verbände in der Schweiz, England und Asien. Sein Startup Portfolio umfasst aktuell 15 Firmen, u.a. Swiss Diamond Coin, Starmind, unblu, Sonect, APIAX, esurance oder IMburse. Kontaktadresse: Ralph Mogicato, Vice President Swiss ICT Investor Club, Stockerstrasse 44 CH-8002 Zürich Tel: +41 79 356 99 11 E-Mail: ralph@sictic.ch Roger Darin (SICTIC Advisor) mit nur 17 Jahren sein erstes Startup gründete, demonstrierte er nebst einer unternehmerischen Ader auch seinen angeborenen Enthusiasmus. Obwohl er dann schliesslich eine traditionelle Karriere im Investment Banking verfolgte – was ihm erlaubte, in grossen Finanzzentren wie Singapur, Tokio und Sydney zu arbeiten – bewahrte er stets seine Liebe zur Informationstechnologie (seine ersten Seminare dazu gab er im Alter von 14 Jahren im lokalen Computerclub, wo er mit Abstand das jüngste Mitglied war). Diese Vorliebe kombiniert er heute mit seinen beruflichen Erfahrungen im Handel und Risikomanagement sowie einer gesunden Portion Kreativität. Nachdem er die letzten zwei Jahre als Product Manager beim Aufbau einer Plattform für Vermögensverwalter mitwirkte, wechselte er zu Lakeside Partners, um deren Anstrengungen beim Aufbau eines umfassenden Ökosystems rund um die Blockchain zu unterstützen. Zudem ist Roger Darin beim Swiss ICT Investor Club im Advisory Board tätig. Kontaktadresse: Roger Darin, Principal Lakeside Partners AG, Gotthardstrasse 26 CH-6300 Zug Tel: +41 79 421 52 43 E-Mail: roger@sictic.ch This article was originally published in March 2018, in the 39th Edition of the UZH Alumni Computer Science, the first alumni organization of the University of Zurich. You can view the full editorial here. To learn more about the UZH Alumni Computer Science, please go here.